Was ist A priori Wahrscheinlichkeit?
Die A priori Wahrscheinlichkeit ist eine Art der Wahrscheinlichkeit, die auf logischer Deduktion oder Vorkenntnissen basiert, bevor ein Zufallsexperiment durchgeführt oder neue Daten gesammelt werden. Sie gehört zur Wahrscheinlichkeitstheorie und ermöglicht es, die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses basierend auf der Anzahl der günstigen Ergebnisse im Verhältnis zur Gesamtzahl der möglichen, gleich wahrscheinlichen Ergebnisse zu bestimmen. Diese Methode wird oft verwendet, wenn alle möglichen Ergebnisse bekannt sind und als gleich wahrscheinlich angenommen werden können. Im Kontext der Finanzanalyse oder des Risikomanagements kann die A priori Wahrscheinlichkeit in Szenarien angewendet werden, in denen die zugrunde liegenden Mechanismen oder die Symmetrie eines Systems klar definiert sind.
Geschichte und Ursprung
Die Ursprünge der Wahrscheinlichkeitstheorie reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Ihre formale Entwicklung wird oft der Korrespondenz zwischen den Mathematikern Blaise Pascal und Pierre de Fermat im Jahr 1654 zugeschrieben. Ihre Diskussionen drehten sich um Probleme des Glücksspiels, insbesondere darum, wie Einsätze in einem unterbrochenen Spiel fair aufgeteilt werden könnten. Diese Überlegungen legten den Grundstein für die Prinzipien der A priori Wahrscheinlichkeit, indem sie die Idee etablierten, dass Wahrscheinlichkeiten durch die Analyse aller möglichen und gleich wahrscheinlichen Ergebnisse vor der Durchführung eines Experiments bestimmt werden können. Diese frühe Form der Wahrscheinlichkeitsberechnung basierte auf der Annahme einer inhärenten Symmetrie der Ereignisse, wie sie bei Würfelspielen oder Münzwürfen gegeben ist.
Wichtige Erkenntnisse
- Die A priori Wahrscheinlichkeit wird vor der Durchführung eines Experiments oder der Beobachtung von Daten bestimmt.
- Sie basiert auf logischer Deduktion oder Annahmen über gleich wahrscheinliche Ergebnisse.
- Ihr Anwendungsbereich ist ideal für Situationen mit bekannten und endlichen Ergebnismengen, wie bei klassischen Glücksspielen.
- Sie unterscheidet sich von empirischen Wahrscheinlichkeiten, die auf gesammelten Beobachtungen beruhen.
- Die Annahme der "gleich wahrscheinlichen Ergebnisse" ist ein zentrales, aber auch einschränkendes Merkmal dieser Wahrscheinlichkeitsart.
Formel und Berechnung
Die A priori Wahrscheinlichkeit (P(A)) eines Ereignisses A wird berechnet, indem die Anzahl der für Ereignis A günstigen Ergebnisse durch die Gesamtzahl der möglichen und gleich wahrscheinlichen Ergebnisse eines Zufallsexperiments geteilt wird.
Die Formel lautet:
Dabei ist "Anzahl der günstigen Ergebnisse für A" die Anzahl der Male, in denen das gewünschte Ereignis auftreten kann, und "Gesamtzahl der möglichen und gleich wahrscheinlichen Ergebnisse" die Summe aller möglichen, voneinander unabhängigen Ergebnisse des Experiments.
Interpretation der A priori Wahrscheinlichkeit
Die A priori Wahrscheinlichkeit wird als ein Maß für die theoretische Möglichkeit eines Ereignisses interpretiert. Ein hoher Wert deutet auf eine hohe theoretische Wahrscheinlichkeit hin, während ein niedriger Wert eine geringe theoretische Wahrscheinlichkeit anzeigt. Da diese Wahrscheinlichkeit auf Annahmen und logischer Analyse basiert und nicht auf beobachteten Daten, ist sie besonders nützlich in Situationen, in denen keine historischen Daten verfügbar sind oder in denen die Struktur des Prozesses perfekt bekannt ist. Sie bildet oft die Grundlage für erste Prognosen oder die Festlegung von Erwartungen, bevor die Realität eines Zufallsexperiments einbezogen wird.
Hypothetisches Beispiel
Betrachten wir ein Standard-Kartenspiel mit 52 Karten. Sie möchten die A priori Wahrscheinlichkeit berechnen, eine Herz-Königin zu ziehen.
- Bestimmung der günstigen Ergebnisse: Im Deck gibt es genau eine Herz-Königin. Die Anzahl der günstigen Ergebnisse ist also 1.
- Bestimmung der Gesamtzahl der möglichen Ergebnisse: Ein Standard-Kartenspiel hat 52 Karten. Jede Karte hat die gleiche Wahrscheinlichkeit, gezogen zu werden. Die Gesamtzahl der möglichen Ergebnisse ist 52.
- Berechnung der A priori Wahrscheinlichkeit:
Die A priori Wahrscheinlichkeit, eine Herz-Königin zu ziehen, beträgt somit 1 zu 52 oder etwa 1,92%. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die A priori Wahrscheinlichkeit direkt aus der Kenntnis der Struktur des Problems abgeleitet wird, ohne dass ein Experiment durchgeführt werden muss.
Praktische Anwendungen
Obwohl die A priori Wahrscheinlichkeit stark theoretischer Natur ist, findet sie in bestimmten Bereichen Anwendung, insbesondere dort, wo die zugrunde liegende Struktur von Ereignissen gut definiert ist:
- Glücksspiel und Spiele: Dies ist der klassische Anwendungsbereich, da Würfel, Karten und Münzen oft als perfekt symmetrisch und ihre Ergebnisse als gleich wahrscheinlich angenommen werden können.
- Grundlagen der Statistik: In der Lehre und bei der Entwicklung statistischer Modelle dient die A priori Wahrscheinlichkeit als Ausgangspunkt für komplexere Berechnungen.
- Bestimmung von Baselines in der Finanzanalyse: In einigen Finanzmodellen können initiale Annahmen über die Wahrscheinlichkeit von bestimmten Marktbedingungen getroffen werden, wenn keine historischen Daten verfügbar sind oder wenn man von einer idealisierten Situation ausgeht. Zum Beispiel bei der Konzeption von Derivaten oder der ersten Modellierung neuer Finanzprodukte.
- Aktuarielle Berechnungen (eingeschränkt): Obwohl aktuarische Wissenschaft stark auf historischen Daten basiert, können in bestimmten idealisierten Szenarien oder bei der Konstruktion von theoretischen Modellen A priori Wahrscheinlichkeiten eine Rolle spielen, beispielsweise bei der Festlegung von Grundprämissen für neue Versicherungsrisiken, für die es noch keine empirischen Daten gibt.
- Qualitätskontrolle (theoretisch): In der Produktion, wenn die Ausfallrate eines perfekt designten Bauteils auf Basis seiner Konstruktion und bekannter Materialeigenschaften theoretisch abgeschätzt wird, bevor tatsächlich Testdaten gesammelt werden.
Die Wahrscheinlichkeitstheorie, einschließlich der A priori Wahrscheinlichkeit, ist ein grundlegendes Werkzeug in der Finanzmathematik und hilft dabei, Unsicherheiten in den Finanzmärkten zu quantifizieren und zu steuern.
Einschränkungen und Kritikpunkte
Die A priori Wahrscheinlichkeit, auch 2bekannt als klassische Definition der Wahrscheinlichkeit, unterliegt mehreren wesentlichen Einschränkungen:
- Annahme der "gleich wahrscheinlichen Ergebnisse": Die größte Einschränkung ist die Anforderung, dass alle möglichen Ergebnisse des Zufallsexperiments gleich wahrscheinlich sein müssen. In vielen realen Szenarien, insbesondere in der Finanzwelt, ist dies selten der Fall. Aktienkurse, Wirtschaftsdaten oder das Eintreten von Krisen sind in der Regel nicht "gleich wahrscheinlich" verteilt.
- Nicht anwendbar bei unendlichen Ergebnismengen: Wenn die Anzahl der möglichen Ergebnisse unendlich ist oder nicht enumeriert werden kann, versagt die A priori Methode. Dies ist bei vielen kontinuierlichen Zufallsvariablen der Fall, wie z.B. bei der Rendite eines Wertpapiers, die jeden Wert innerhalb eines bestimmten Bereichs annehmen kann.
- Abhängigkeit von Vorkenntnissen/Annahmen: Die Bestimmung der A priori Wahrscheinlichkeit erfordert ein vollständiges Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse und deren Symmetrien. Wenn diese Annahmen falsch sind, ist auch die berechnete Wahrscheinlichkeit ungenau.
- Fehlende empirische Überprüfbarkeit: Da die A priori Wahrscheinlichkeit vor jeglicher Beobachtung festgelegt wird, kann sie nicht direkt durch experimentelle Daten überprüft oder angepasst werden. Dies steht im Gegensatz zur frequentistischen oder bayesianischen Wahrscheinlichkeit, die sich an empirischen Beobachtungen orientiert.
- Zirkularität der Definition: Ein Kritikpunkt der klassischen Definition ist, dass der Begriff "gleich wahrscheinlich" bereits den Begriff der Wahrscheinlichkeit impliziert, was zu einer Zirkularität führen kann.
Diese Einschränkungen haben zur Entwicklung alternativer Wahrscheinlichkeitsdefinitionen geführt, wie der frequentistischen und der subjektiven (bayesianischen) Wahrscheinlichkeit, die für realere und komplexere Situationen besser geeignet sind. Für die Begründung der modernen Axiomatischen Wahrscheinlichkeitstheorie war das Werk von A.N. Kolmogorov entscheidend, das die Wahrscheinlichkeit auf allgemeine mathematische Konzepte stützt und die Beschränkungen der klassischen Definition überwindet.
A priori Wahrscheinlichkeit vs. A posteriori Wahrscheinlichkeit
Die A priori Wahrscheinlichkeit u1nd die A posteriori Wahrscheinlichkeit stellen zwei grundlegende Ansätze in der Wahrscheinlichkeitstheorie dar, die sich primär in ihrem Bezug zum Zeitpunkt der Informationsgewinnung unterscheiden.
Die A priori Wahrscheinlichkeit (oder "vorab" Wahrscheinlichkeit) wird vor der Durchführung eines Zufallsexperiments oder dem Sammeln neuer Daten bestimmt. Sie basiert auf logischer Deduktion, der Kenntnis der Symmetrie des Systems oder zuvor gemachten Annahmen über gleich wahrscheinliche Ergebnisse. Ein Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit, eine Sechs mit einem fairen Würfel zu würfeln (1/6), die man ohne jeglichen Würfelwurf bestimmen kann.
Die A posteriori Wahrscheinlichkeit (oder "nachher" Wahrscheinlichkeit) hingegen wird nach der Durchführung eines Experiments oder dem Sammeln von Daten ermittelt. Sie wird durch die Beobachtung der tatsächlichen Ergebnisse oder durch die Aktualisierung einer anfänglichen (a priori) Wahrscheinlichkeit mit neuen Informationen berechnet. Ein häufiges Instrument hierfür ist das Bayes-Theorem. Wenn beispielsweise ein Anleger die Wahrscheinlichkeit für einen Börsencrash basierend auf historischen Daten und aktuellen Marktindikatoren neu bewertet, spricht man von A posteriori Wahrscheinlichkeit. Während die A priori Wahrscheinlichkeit eine theoretische Schätzung ohne empirische Eingabe ist, integriert die A posteriori Wahrscheinlichkeit die Realität der Beobachtung in ihre Berechnung.
FAQs
F1: Wann wird die A priori Wahrscheinlichkeit typischerweise verwendet?
Die A priori Wahrscheinlichkeit wird typischerweise in Szenarien verwendet, in denen alle möglichen Ergebnisse eines Zufallsexperiments bekannt sind und als gleich wahrscheinlich angenommen werden können. Klassische Beispiele sind Würfelspiele, Münzwürfe oder Kartenspiele, bei denen die physikalische Symmetrie der Objekte die Annahme der Gleichwahrscheinlichkeit der Ergebnisse stützt.
F2: Kann die A priori Wahrscheinlichkeit in der Finanzanalyse angewendet werden?
Direkt ist die A priori Wahrscheinlichkeit in der Finanzanalyse aufgrund der Komplexität und der Ungleichwahrscheinlichkeit von Marktereignissen nur begrenzt anwendbar. Sie kann jedoch als theoretisches Fundament dienen oder in sehr simplifizierten Modellierungen verwendet werden, wenn beispielsweise angenommen wird, dass bestimmte Marktbedingungen mit gleicher Wahrscheinlichkeit eintreten können. Realistischere Finanzmodelle nutzen eher frequentistische oder bayesianische Ansätze.
F3: Was ist der Hauptunterschied zwischen A priori und A posteriori Wahrscheinlichkeit?
Der Hauptunterschied liegt im Zeitpunkt der Bestimmung und der verwendeten Datenbasis. Die A priori Wahrscheinlichkeit wird vor einem Experiment und basierend auf logischen Annahmen berechnet. Die A posteriori Wahrscheinlichkeit wird nach einem Experiment und unter Einbeziehung neuer, empirischer Daten berechnet, oft unter Verwendung des Bayes-Theorems.