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Wettbewerbsverzerrungen

Was sind Wettbewerbsverzerrungen?

Wettbewerbsverzerrungen treten auf, wenn die natürlichen Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage gestört oder behindert werden, sodass ein fairer und offener Wettbewerb zwischen Unternehmen beeinträchtigt wird. Dies fällt in den Bereich der Wirtschaftspolitik, da staatliche Eingriffe oder das Fehlen angemessener Rahmenbedingungen oft eine Rolle spielen. Solche Verzerrungen können zu ineffizienten Märkten führen, die Innovationen hemmen und Konsumenten schaden. Wettbewerbsverzerrungen sind in der Regel das Ergebnis von Marktversagen oder staatlichen Eingriffen, die unbeabsichtigte Folgen haben.

Geschichte und Ursprung

Das Konzept der Wettbewerbsverzerrungen und die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung haben sich mit der Entwicklung moderner Industriestaaten und der Erkenntnis der Bedeutung freier Märkte herausgebildet. Bereits im späten 19. Jahrhundert begannen Staaten, erste Gesetze gegen Monopole und Kartelle zu erlassen, um die Macht konzentrierter Unternehmen einzudämmen. Ein Meilenstein in Deutschland war das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von 1958, das als Grundlage für die Arbeit des Bundeskartellamts dient. Auf europäischer Ebene entwickelten sich die Wettbewerbsregeln der EU parallel zur Schaffung des Binnenmarktes. Die Europäische Kommission, als Hüterin der Verträge, spielt eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung dieser Regeln, welche darauf abzielen, einen unverfälschten Wettbewerb innerhalb der Union zu gewährleisten. Die Artikel 101 bis 109 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bilden die rechtliche Grundlage, um wettbewerbswidrige Vereinbarungen, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und bestimmte staatliche Beihilfen zu verbieten, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen können.,,

Ein früher und präg10e9nder Kopf in der Entwicklung des europäischen Kartellrechts war Hans von der Groeben, der als EWG-Kommissar maßgeblich an der Vereinheitlichung des französischen und deutschen Kartellrechts und der Etablierung des europäischen Wettbewerbsrechts beteiligt war, welches im Dezember 1961 verabschiedet wurde.

Kernpunkte

  • Wettbewerbsverzerrungen entstehen, wenn Marktmechanismen durch unfaire Praktiken oder unangemessene staatliche Eingriffe gestört werden.
  • Sie können zu höheren Preisen, geringerer Qualität und Innovation sowie einer ineffizienten Ressourcenallokation führen.
  • Typische Ursachen sind Kartelle, Monopole, Subventionen, Zölle oder mangelnde Regulierung.
  • Wettbewerbsbehörden wie das Bundeskartellamt oder die Europäische Kommission sind für die Aufdeckung und Ahndung von Wettbewerbsverzerrungen zuständig.
  • Die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen zielt darauf ab, die Effizienz der Märkte zu steigern und das Wohlfahrt der Konsumenten zu maximieren.

Formel und Berechnung

Wettbewerbsverzerrungen sind keine Größen, die direkt durch eine einzelne Formel berechnet werden können. Stattdessen werden ihre Auswirkungen oft durch verschiedene ökonomische Indikatoren und Analysen quantifiziert. Ökonomen bewerten die Marktkonzentration mittels Indizes wie dem Herfindahl-Hirschman-Index (HHI) oder der Konzentrationsrate, um potenzielle Marktmacht und das Risiko von Verzerrungen zu identifizieren. Der HHI wird beispielsweise berechnet als die Summe der quadrierten Marktanteile aller Unternehmen in einem Markt:

HHI=i=1N(si)2HHI = \sum_{i=1}^{N} (s_i)^2

Dabei ist ( s_i ) der Marktanteil des Unternehmens ( i ) in Prozent und ( N ) die Anzahl der Unternehmen im Markt. Ein höherer HHI-Wert deutet auf eine höhere Marktkonzentration und damit auf ein potenziell höheres Risiko für Wettbewerbsverzerrungen hin.

Interpretation von Wettbewerbsverzerrungen

Die Interpretation von Wettbewerbsverzerrungen erfordert eine genaue Analyse der Marktstruktur und des Verhaltens der Marktteilnehmer. Eine hohe Marktkonzentration, wie sie beispielsweise durch einen hohen HHI-Wert angezeigt wird, ist allein noch keine Wettbewerbsverzerrung, kann aber ein Indikator für ein Oligopol oder ein Monopol sein, das das Potenzial für solche Verzerrungen birgt. Wettbewerbsbehörden prüfen dann, ob Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen, etwa durch Preisabsprachen oder die Behinderung des Markteintritts neuer Wettbewerber. Auch staatliche Maßnahmen wie unangemessene Zölle oder zu hohe Subventionen können Märkte verzerren, indem sie bestimmte Unternehmen oder Industrien ungerechtfertigt bevorzugen.

Hypothetisches Beispiel

Angenommen, in einem kleinen Land gibt es nur zwei große Hersteller von Solarmodulen, "SolarPower AG" und "GreenEnergy GmbH". Beide Unternehmen machen sich durch Preisdumping das Leben schwer. Um dies zu beenden, treffen sich die Geschäftsführer heimlich und vereinbaren, ihre Preise auf einem bestimmten Niveau zu halten. Sie teilen auch die regionalen Märkte untereinander auf, sodass SolarPower nur im Norden und GreenEnergy nur im Süden verkauft.

Diese Absprache stellt eine klare Wettbewerbsverzerrung dar, genauer gesagt ein Kartell. Obwohl es immer noch zwei Unternehmen gibt, verhalten sie sich nicht mehr als Wettbewerber, sondern als eine Einheit. Die Konsumenten haben keine Wahl mehr und müssen die überhöhten Preise akzeptieren. Der Wettbewerb ist eliminiert, und die Konsumentenrente wird reduziert. Eine Wettbewerbsbehörde würde in einem solchen Fall eingreifen, das Kartell aufdecken und empfindliche Strafen verhängen, um den Wettbewerb wiederherzustellen.

Praktische Anwendungen

Wettbewerbsverzerrungen manifestieren sich in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und sind ein zentrales Thema für Regulierung und Wirtschaftspolitik.

  • Kartellverfolgung: Wettbewerbsbehörden weltweit, wie das Bundeskartellamt in Deutschland oder die Europäische Kommission, gehen aktiv gegen illegale Absprachen wie Preisabsprachen oder Gebietsaufteilungen vor., Beispielsweise hat die Europäische Kommission in den letzten Jahren wi8e7derholt gegen große Technologieunternehmen wegen angeblicher Wettbewerbsverzerrungen vorgegangen, etwa im Bereich der digitalen Werbung. So wurde Google im Juni 2023 von der EU wegen des Missbrauchs seiner dominanten Stellung im Werbetechnologiesektor angeklagt.
  • Fusionskontrolle: Die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen6 verhindert, dass durch Akquisitionen oder Fusionen zu große Marktmacht entsteht, die den Wettbewerb erheblich behindern könnte. Dies ist eine präventive Maßnahme gegen zukünftige Wettbewerbsverzerrungen.
  • Staatliche Beihilfen: Regierungen können durch Subventionen oder Steuervergünstigungen bestimmte Unternehmen oder Industrien begünstigen, was den Wettbewerb verzerrt. Die EU hat strenge Regeln für staatliche Beihilfen, um einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt zu gewährleisten.
  • Handelspolitik: Handelshemmnisse wie Zölle oder Importquoten können den internationalen Wettbewerb verzerren, indem sie ausländische Produkte benachteiligen und heimische Industrien schützen.
  • Regulierung digitaler Märkte: In der digitalen Wirtschaft stehen Wettbewerbsbehörden vor neuen Herausforderungen, da große Technologieplattformen oft über immense Datenmengen und Netzwerkeffekte verfügen, die neue Formen von Wettbewerbsverzerrungen ermöglichen können.,

Einschränkungen und Kritik

Die Identifizierung und Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen5 4ist komplex und nicht ohne Kritik. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, zwischen legitimen Vorteilen, die aus Effizienz und Innovation resultieren, und dem Missbrauch von Marktmacht zu unterscheiden. Beispielsweise kann die Größe eines Unternehmens durch Skaleneffekte entstehen, die zu niedrigeren Preisen führen, und nicht zwangsläufig eine Wettbewerbsverzerrung darstellen.

Kritiker der Wettbewerbspolitik bemängeln manchmal, dass Regulierungen Innovationen ersticken oder unnötige Bürokratie schaffen könnten. Insbesondere in schnelllebigen digitalen Märkten kann es schwierig sein, die relevanten Märkte abzugrenzen und Marktmacht angemessen zu bewerten.,, Manche argumentieren, dass die Gefahr einer Überregulierung besteht, wenn Wettbewerbsbehörden zu aggressi3v2 1gegen vermeintliche Verzerrungen vorgehen. Zudem kann die Durchsetzung von Kartellrechtsverfahren langwierig und kostspielig sein, und die Verhängung von Bußgeldern allein garantiert nicht immer eine sofortige Wiederherstellung des Wettbewerbs.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft staatliche Eingriffe, die selbst Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen. Wenn der Staat beispielsweise bestimmte Industrien stark subventioniert, kann dies zu einer ungerechten Bevorzugung nationaler Unternehmen und einer Benachteiligung internationaler Wettbewerber führen, selbst wenn dies aus politischen Gründen wie der Sicherung von Arbeitsplätzen geschieht.

Wettbewerbsverzerrungen vs. Marktversagen

Während Wettbewerbsverzerrungen und Marktversagen eng miteinander verbunden sind, bezeichnen sie unterschiedliche Konzepte.

Wettbewerbsverzerrungen beziehen sich auf spezifische Handlungen oder Strukturen, die den fairen Wettbewerb innerhalb eines Marktes direkt beeinträchtigen. Beispiele hierfür sind illegale Preisabsprachen zwischen Konkurrenten (Kartelle), der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch ein Unternehmen (z.B. durch erzwungene Kopplungsgeschäfte) oder bestimmte staatliche Eingriffe, die einzelne Akteure ungerechtfertigt bevorzugen (z.B. diskriminierende Subventionen). Der Fokus liegt hier auf der Störung des Wettbewerbsprozesses selbst.

Marktversagen ist ein breiteres ökonomisches Konzept, das Situationen beschreibt, in denen der freie Markt nicht in der Lage ist, Ressourcen effizient zuzuweisen. Wettbewerbsverzerrungen können eine Ursache von Marktversagen sein, aber Marktversagen umfasst auch andere Gründe, wie externe Effekte (z.B. Umweltverschmutzung), die Existenz öffentlicher Güter (z.B. Landesverteidigung) oder Informationsasymmetrien. Im Falle von Marktversagen ist der Marktprozess per Definition nicht optimal, während Wettbewerbsverzerrungen eine aktive Störung dieses Prozesses darstellen.

FAQs

Was sind die häufigsten Ursachen für Wettbewerbsverzerrungen?

Die häufigsten Ursachen für Wettbewerbsverzerrungen sind Kartelle und illegale Absprachen zwischen Unternehmen, der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch ein einzelnes Unternehmen sowie staatliche Eingriffe wie ungerechtfertigte Subventionen, Zölle oder andere Handelshemmnisse, die den freien Austausch von Gütern und Dienstleistungen behindern.

Wer überwacht Wettbewerbsverzerrungen in Deutschland und der EU?

In Deutschland ist das Bundeskartellamt die zentrale Behörde, die den Wettbewerb schützt und gegen Wettbewerbsverzerrungen vorgeht. Auf europäischer Ebene ist die Europäische Kommission für die Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts zuständig, insbesondere bei grenzüberschreitenden Fällen oder wenn nationale Maßnahmen den Binnenmarkt beeinflussen.

Welche Auswirkungen haben Wettbewerbsverzerrungen auf Konsumenten?

Wettbewerbsverzerrungen schaden Konsumenten in der Regel, indem sie zu höheren Preisen, einer geringeren Produktvielfalt und niedrigerer Qualität führen. Da der Druck des Wettbewerbs fehlt, haben Unternehmen weniger Anreize, innovativ zu sein oder effizient zu wirtschaften, was letztlich die Konsumentenrente mindert.

Können staatliche Maßnahmen selbst Wettbewerbsverzerrungen verursachen?

Ja, staatliche Maßnahmen können unbeabsichtigt oder beabsichtigt Wettbewerbsverzerrungen verursachen. Beispiele hierfür sind Subventionen, die bestimmten Unternehmen einen unfairen Vorteil verschaffen, oder die Einführung von Handelshemmnissen, die ausländische Wettbewerber vom Markt ausschließen. Daher unterliegen viele staatliche Beihilfen in der EU einer strengen Kontrolle, um Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu verhindern.

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