Bezugsrechte: Definition, Berechnung und praktische Anwendungen
Was sind Bezugsrechte?
Bezugsrechte sind Wertpapiere, die bestehenden Aktionären das Recht, aber nicht die Pflicht, einräumen, neue Aktien eines Unternehmens in einem bestimmten Verhältnis zu ihren bestehenden Stammaktien zu einem festgelegten Preis zu erwerben. Sie werden im Rahmen einer Kapitalerhöhung ausgegeben und dienen primär dazu, die Anteile der bestehenden Aktionäre vor Verwässerung zu schützen, die eintreten würde, wenn neue Aktien an Dritte ausgegeben würden, ohne den bestehenden Aktionären eine Zeichnungsmöglichkeit zu geben. Bezugsrechte fallen unter die Kategorie der Unternehmensfinanzierung, da sie ein wichtiges Instrument für Unternehmen sind, um Kapital zu beschaffen. Die US-amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC bietet umfassende Informationen zum Verständnis von Bezugsrechten.
Geschichte 5und Ursprung
Die Praxis der Bezugsrechte hat eine lange Tradition im Kapitalmarktrecht und ist eng mit der Entwicklung des Aktienmarktes verbunden. Ihr Ursprung liegt im Bestreben, das Eigentum und die Kontrolle der ursprünglichen Investoren eines Unternehmens zu schützen, wenn das Unternehmen neues Kapital aufnimmt. Während der Geschichte der Kapitalmärkte haben sich Bezugsrechte als eine der primären Methoden zur Kapitalbeschaffung etabliert, insbesondere in Zeiten, in denen der direkte Verkauf neuer Aktien an den Markt schwierig oder ungünstig war. Ein prominentes Beispiel aus jüngerer Zeit ist die 2008 von der Royal Bank of Scotland (RBS) durchgeführte Bezugsrechtsemission, die mit 12 Milliarden Pfund die größte in Europa war, um ihre Kapitalbasis inmitten der Finanzkrise zu stärken.
Wichtige Erkenntnisse
- Bezugsrechte bieten bestehenden Aktionären das Recht, neue Aktien zu einem Vorzugspreis zu erwerben.
- Sie dienen dazu, die Beteiligungsquote der Aktionäre bei einer Kapitalerhöhung aufrechtzuerhalten und eine Verwässerung zu vermeiden.
- Bezugsrechte können an der Börse gehandelt werden, was den Inhabern die Möglichkeit gibt, ihren Wert zu realisieren, auch wenn sie die neuen Aktien nicht zeichnen möchten.
- Ihr Wert hängt unter anderem vom aktuellen Aktienkurs und dem Bezugspreis der neuen Aktien ab.
- Unternehmen nutzen Bezugsrechte, um Kapital zu beschaffen, oft als Alternative zu anderen Finanzierungsinstrumenten wie Anleihen.
Formel und Berechnung
Der Wert eines Bezugsrechts lässt sich mit einer spezifischen Formel berechnen. Man unterscheidet dabei zwischen dem Wert des Bezugsrechts vor und nach der Abspaltung vom Aktienkurs (Ex-Recht-Notierung).
Wert des Bezugsrechts (vor Abspaltung / "cum-rights"):
Wert des Bezugsrechts (nach Abspaltung / "ex-rights"):
Dabei sind:
- Aktienkurs vor der Emission: Der aktuelle Aktienkurs vor Bekanntgabe oder Abspaltung der Bezugsrechte.
- Emissionskurs (Bezugspreis): Der Preis, zu dem bestehende Aktionäre die neuen Aktien über ihre Bezugsrechte erwerben können. Dieser Preis ist in der Regel niedriger als der aktuelle Marktkapitalisierung des Aktienkurses.
- Bezugsverhältnis: Gibt an, wie viele bestehende Aktien ein Aktionär halten muss, um ein Bezugsrecht zu erhalten, oder wie viele Bezugsrechte für den Erwerb einer neuen Aktie notwendig sind (z.B. "10 zu 1" bedeutet, 10 alte Aktien ergeben 1 Recht, um 1 neue Aktie zu kaufen).
Interpretation des Bezugsrechts
Bezugsrechte werden von Aktionären und Investoren als ein Indikator für die zukünftigen Kapitalbedürfnisse eines Unternehmens und als Schutzmechanismus interpretiert. Ein hohes Bezugsverhältnis oder ein deutlich unter dem aktuellen Aktienkurs liegender Emissionskurs kann darauf hindeuten, dass das Unternehmen dringend Kapital benötigt oder seinen Aktionären einen starken Anreiz bieten möchte. Für Investoren, die ihre Beteiligung aufrechterhalten wollen, ist die Ausübung der Bezugsrechte eine Möglichkeit, die Verwässerung ihrer Anteile zu vermeiden. Andernfalls können sie die Rechte verkaufen, um den Wert zu realisieren.
Hypothetisches Beispiel
Angenommen, die Firma "Alpha AG" hat einen aktuellen Aktienkurs von 100 Euro. Sie kündigt eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechten an. Das Bezugsverhältnis beträgt "4 zu 1" (vier alte Aktien berechtigen zum Kauf einer neuen Aktie), und der Emissionskurs (Bezugspreis) für die neuen Aktien beträgt 80 Euro.
- Aktienkurs vor der Emission (cum-rights): 100 Euro
- Emissionskurs (Bezugspreis): 80 Euro
- Bezugsverhältnis: 4:1 (d.h., für je 4 alte Aktien kann 1 neue Aktie gezeichnet werden)
Berechnung des Werts eines Bezugsrechts:
Der Wert eines Bezugsrechts (vor Abspaltung) berechnet sich wie folgt:
Ein Aktionär, der 400 Aktien der Alpha AG besitzt, erhält 100 Bezugsrechte (400 / 4 = 100). Jedes dieser Bezugsrechte hat einen Wert von 4 Euro. Insgesamt hat der Aktionär also einen rechnerischen Wert von 400 Euro durch seine Bezugsrechte (100 Rechte * 4 Euro/Recht). Möchte der Aktionär seine Beteiligung aufrechterhalten, müsste er für die 100 neuen Aktien 100 * 80 Euro = 8.000 Euro aufwenden.
Praktische Anwendungen
Bezugsrechte finden in verschiedenen Bereichen der Finanzwelt Anwendung:
- Kapitalbeschaffung für Unternehmen: Unternehmen nutzen Bezugsrechte, um schnell und effizient neues Eigenkapital zu generieren, ohne neue Investoren suchen zu müssen. Dies kann besonders attraktiv sein, wenn der Kapitalmarkt für eine Neuemission schwierig ist.
- Schutz bestehender Aktionäre: Sie stellen sicher, dass bestehende Aktionäre ihre prozentuale Beteiligung am Unternehmen beibehalten können und nicht durch die Ausgabe neuer Aktien an Dritte benachteiligt werden.
- Börsenhandel: Bezugsrechte können selbst an der Börse gehandelt werden, was den Aktionären Liquidität verschafft. Aktionäre, die die neuen Aktien nicht zeichnen möchten, können ihre Bezugsrechte verkaufen und so den inneren Wert der Rechte realisieren. Dies wird als "Renunciation" bezeichnet.
- Restrukturierung und Sanierung: In sc3hwierigen wirtschaftlichen Lagen können Bezugsrechtsemissionen als Teil von Restrukturierungsmaßnahmen genutzt werden, um die Bilanz eines Unternehmens zu stärken. Die Federal Reserve Bank of San Francisco hat die Effektivität von Bezugsrechtsemissionen im Vergleich zu anderen Emissionsformen untersucht, insbesondere im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Liquidität und die Kapitalkosten des Unternehmens. FRBSF Economic Letter: Are Rights Offerings Better Than Underwritten Offerings?
- Corporate Governance: Die Nutzung von Bezugsrechten spiegelt Prinzipien der Corporate Governance wider, indem sie die Rechte der Aktionäre respektiert und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Beteiligungsquote aktiv zu managen.
Einschränkungen und Kritikpunkte
Obwohl Bezugsrechte Vorteile bieten, gibt es auch Einschränkungen und Kritik:
- Verwässerung des Aktienkurses: Trotz des Schutzes vor prozentualer Verwässerung für diejenigen, die ihre Rechte ausüben, führt die Ausgabe neuer Aktien oft zu einer kurzfristigen Verwässerung des Aktienkurses pro Aktie. Der Wert des Unternehmens wird auf eine größere Anzahl von Aktien verteilt, was den Gewinn pro Aktie und somit den Kurs beeinträchtigen kann.
- Komplexität und Kosten: Die Durchführung einer Bezugsrechtsemission kann komplex und kostspielig sein, insbesondere aufgrund der Notwendigkeit eines Wertpapierprospekt und des Underwriting durch Investmentbanken, falls eine Platzierungsgarantie erforderlich ist.
- Risiko für nicht ausübende Aktionäre: Aktionäre, die ihre Bezugsrechte nicht ausüben und auch nicht verkaufen, erleiden eine direkte finanzielle Verwässerung ihres Anteils und des Wertes ihrer Beteiligung, da der Wert der Rechte verfällt.
- Marktstimmung: Eine Bezugsrechtsemission kann vom Markt als Zeichen der Schwäche interpretiert werden, insbesondere wenn das Unternehmen in der Vergangenheit hohe Dividende ausgeschüttet hat oder andere Finanzierungsoptionen scheinbar nicht verfügbar sind. Der Fall der Royal Bank of Scotland im Jahr 2008 verdeutlicht die Herausforderungen, die mit großen Bezugsrechtsemissionen in unsicheren Marktzeiten einhergehen können, da die Bank kurz darauf eine staatliche Rettung benötigte.
- Renditedruck: Die neuen Aktien, die zu einem niedrigeren [Emissions2kurs](https://diversification.com/term/emissionskurs) ausgegeben werden, können den durchschnittlichen Einstandspreis der Aktie für bestehende Aktionäre senken, aber auch den Druck auf die Rendite erhöhen, wenn der Marktpreis weiter fällt.
Bezugsrechte vs. Optionsscheine
Bezugsrechte und Optionsscheine (Warrants) sind beides derivative Finanzinstrumente, die dem Inhaber das Recht geben, Aktien zu kaufen, unterscheiden sich jedoch grundlegend in ihrer Natur und ihrem Zweck.
Merkmal | Bezugsrechte | Optionsscheine (Warrants) |
---|---|---|
Zweck | Schutz bestehender Aktionäre vor Verwässerung; Kapitalbeschaffung für das Unternehmen. | Attraktivitätssteigerung für Anleihen oder Aktienplatzierungen; eigenständiges Anlageinstrument. |
Ausgabe an | Ausschließlich bestehende Aktionäre. | Häufig an Investoren im Rahmen von Emissionen (z.B. als Bonus zu Anleihen) oder öffentlich. |
Laufzeit | Kurzfristig (meist wenige Wochen). | Längerfristig (Monate bis Jahre). |
Bezugspreis | Meist deutlich unter dem aktuellen Marktpreis zum Zeitpunkt der Emission. | Meist über dem aktuellen Marktpreis bei Emission (Ausübungspreis). |
Handel | Ja, an der Börse handelbar. | Ja, an der Börse handelbar. |
Während Bezugsrechte ein Instrument der Unternehmensfinanzierung sind, das direkt an die bestehenden Eigentümer gebunden ist, sind Optionsscheine flexiblere Wertpapiere, die oft als "Süßungsmittel" bei anderen Finanztransaktionen eingesetzt werden oder eigenständig als spekulative Anlageprodukte gehandelt werden können. Ein Bezugsrecht verfällt typischerweise nach kurzer Zeit, wohingegen Optionsscheine eine längere Laufzeit haben können und oft mit einer Anleihe oder anderen Wertpapieren gebündelt sind.
FAQs
F: Sind Bezugsrechte Pflicht?
A: Nein, der Besitz von Bezugsrechten verpflichtet den Aktionär nicht zum Kauf neuer Aktien. Es ist ein Recht, das ausgeübt, verkauft oder verfallen gelassen werden kann. Ein Verfall führt jedoch zu einem Wertverlust für den Aktionär.
F: Warum sind Bezugsrechte für Aktionäre wichtig?
A: Bezugsrechte sind wichtig, weil sie bestehenden Aktionären die Möglichkeit geben, ihre prozentuale Beteiligung an einem Unternehmen aufrechtzuerhalten, wenn dieses neues Kapital durch die Ausgabe zusätzlicher Aktien aufnimmt. Ohne Bezugsrechte würde ihre Beteiligung verwässert werden.
F: Können Bezugsrechte gehandelt werden?
A: Ja, Bezugsrechte können in der Regel während einer bestimmten Zeichnungsfrist an der Börsenhandel gehandelt werden. Dies ermöglicht es Aktionären, die die neuen Aktien nicht erwerben möchten, den Wert ihrer Rechte zu realisieren, indem sie diese an andere Investoren verkaufen.
F: Wie beeinflussen Bezugsrechte den Aktienkurs?
A: Die Ankündigung einer Bezugsrechtsemission kann den Aktienkurs kurzfristig beeinflussen, da der Wert der Bezugs1rechte vom Kurs der Aktie abgespalten wird. Theoretisch sinkt der Aktienkurs um den Wert des Bezugsrechts, da das Recht, billiger Aktien zu kaufen, nun eigenständig handelbar ist. Langfristig hängt die Kursentwicklung von der erfolgreichen Verwendung des durch die Kapitalerhöhung gewonnenen Kapitals ab.
F: Was passiert, wenn ich meine Bezugsrechte nicht ausübe oder verkaufe?
A: Wenn Bezugsrechte weder ausgeübt noch verkauft werden, verfallen sie wertlos am Ende der Zeichnungsfrist. Der Aktionär erleidet dann einen direkten finanziellen Verlust in Höhe des Werts der verfallenen Rechte und seine prozentuale Beteiligung am Unternehmen wird verwässert.